Am vergangenen Donnerstag hat die unabhängige Arbeitsrechtliche Kommission (AK) der Caritas auf Bundesebene über den Antrag auf einen allgemeinverbindlichen „Tarifvertrag Altenhilfe“ abgestimmt. Dabei wurde das notwendige Zweidrittelquorum nicht erreicht. Dies sorgt vielfach für Irritation und Unverständnis und hat in den Medien eine Welle der Empörung ausgelöst. Es ist offensichtlich leider nicht gelungen, die Hintergründe und komplexen Zusammenhänge so darzustellen, dass sie auch von „Nicht-Insidern“ verstanden, korrekt wiedergegeben und entsprechend eingeordnet werden konnten.
Auch als Vorstand des DiCV Rottenburg-Stuttgart sind wir mit teils heftigen Reaktionen konfrontiert. Darum ist es uns ein großes Anliegen, im Folgenden die Zusammenhänge zu erläutern und unsere Einschätzungen dazu zu legen.
Unsere Grundüberzeugung als Vorbemerkung
Um die Bezahlung und die Arbeitsbedingungen in der Pflege tatsächlich nachhaltig zu verbessern, müssen alle relevanten Akteure an einem Strang ziehen und Bündnisse geschmiedet werden. Davon sind wir zutiefst überzeugt und verfolgen darum in Baden-Württemberg seit vielen Jahren einen partnerschaftlichen Ansatz, der sich in zwei Bündnissen konkretisiert:
Vereint in einem „Bündnis für Tariftreue und Tarifstandards“ treten die Gewerkschaft ver.di mit allen Verbänden der freien Wohlfahrtspflege gemeinsam dafür ein, faire tarifliche Bezahlung und Refinanzierung in der gesamten Soziallwirtschaft sicherzustellen. Unter dem Leitgedanken „Mehr Zeit für die Pflege“ sind in einem „Bündnis für Sozialpartnerschaft in der Altenhilfe“ alle relevanten Akteure der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege, der Gewerkschaften sowie Arbeitgebervertreter und Krankenkassen im Land zusammengeschlossen, um gemeinsam die immensen Herausforderungen der Altenhilfe in den kommenden Jahren anzugehen (vgl. dazu das Grundlagenpapier bzw. die Präambel der beiden Bündnisse).
Der jüngste Vorgang auf Bundesebene zeugt bedauerlicherweise in keiner Phase und erst recht nicht im Ergebnis von solchem „Bündnisdenken“, um ein eigentlich gemeinsames Anliegen zu erreichen.
Einordnung des „Nein“ der AK auf Bundesebene zum vorgelegten Flächentarif Altenhilfe
Das Ziel von guten Arbeitsbedingungen in der Pflege teilt die Caritas mit der Diakonie, der Gewerkschaft ver.di, der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) und der Bundesregierung. Hierfür stehen beispielhaft die gemeinsamen Bemühungen im Rahmen der Konzertierten Aktion Pflege. Die Caritas, die Diakonie und der öffentliche Dienst zahlen seit Jahren die höchsten Löhne in der Altenhilfe. Ebenso kümmern sie sich im Rahmen der Pflegekommission auch darum, dass alle Beschäftigten in der Altenhilfe höhere Löhne bekommen. Ebenso wichtig wie höhere Löhne sind für die Beschäftigten passgenaue Arbeitszeitmodelle.
Der sogenannte „Tarifvertrag Altenhilfe“ wird auch in unserer Bewertung diesem Ziel nicht annähernd gerecht. Ausgehandelt von ver.di mit der BVAP (Bundesvereinigung der Arbeitgeber in der Pflegebranche, vertritt knapp 6 Prozent der Beschäftigten in der Altenhilfe), sollte er nach der Vorstellung von Arbeitsminister Heil für „allgemeinverbindlich“ erklärt werden, also für alle 1,2 Millionen Beschäftigte in der Pflege gelten. Wir teilen Befürchtungen, dass sich mit einer solchen Allgemeinverbindlichkeitserklärung die Situation der Beschäftigten in der Pflege nicht verbessern, sondern im Gegenteil verschlechtern würde.
Warum?
- Bei genauerem Hinsehen handelt es sich keinesfalls um ein grundständiges Tarifwerk, sondern im Grunde lediglich um eine Erhöhung des Mindestlohns in der Pflege. Eine betriebliche Altersvorsorge fehlt darin ebenso wie passgenaue Arbeitszeitmodelle oder die Regelung von Überstundenzuschlägen;
- die allermeisten Beschäftigten in der Pflege, die im öffentlichen Dienst, bei Caritas oder Diakonie angestellt sind, verdienen um einiges mehr als es der „Tarifvertrag Altenhilfe“ vorgesehen hätte. Dieser liegt etwa 10 Prozent unterhalb des AVR- bzw. TVöD-Niveaus. Ein für allgemeinverbindlich erklärter „Mini-Flächentarif“ auf so niedrigem Niveau hätte womöglich auf lange Sicht alle Dynamik gebremst, die notwendig ist, um die nach wie vor eklatante Kluft zwischen den Tarif-Niveaus zu überwinden;
- nicht zuletzt stand zu befürchten , dass die Kostenträger sich zukünftig an dem deutlich niedrigeren Niveau des „Tarifvertrag Altenhilfe“ als Norm orientieren und die Mehrkosten der Einrichtungen nicht mehr refinanzieren, die höhere Löhne zahlen, wie Caritas und Diakonie. Wir wollen aber unseren Mitarbeitenden in der Pflege weiter gute Löhne zahlen!
Um was es nach unserer Einschätzung jetzt gehen muss
- Das gemeinsame Ziel für alle Beteiligten auf der Bundesebene muss nun sein, wieder gesprächs- und insbesondere bündnisfähig zu werden.
- Die Schritte auf dem Weg zu einem tragfähigen Bündnis müssen partnerschaftlich vereinbart werden. Das gebietet allein schon die Vernunft, da keiner der Beteiligten – auch nicht formal – die Macht hat, seinen Weg zum gemeinsamen Ziel gegen andere Partner durch zu drücken.
- Nach dem Scheitern eines allgemeinverbindlichen Tarifs in der Pflege, setzen wir in Baden-Württemberg auf die zügige Umsetzung unserer Bemühungen im Bündnis „Sozialpartnerschaft in der Altenhilfe neu denken“ sowie auf eine umfassende Pflegereform auf Bundesebene.
- Um weiterhin gute Mindestarbeitsbedingungen in der Pflege abzusichern, muss schnellstmöglich die 5. Pflegekommission einberufen werden.
- Die Idee, die Zulassung einer Pflegeeinrichtung an eine Tarifbindung zu koppeln, wie sie das Bundesgesundheitsministerium eingebracht hat, könnte das gemeinsame Ziel entschieden stärken.
- Der Vorstand des DiCV bedauert sehr, dass die Mitarbeiter- und die Dienstgeberseite der AK auf Bundesebene ihren, in der Vergangenheit so erfolgreich beschrittenen gemeinsamen Weg verlassen und sich in dieser Entscheidung gegeneinander positioniert haben. Hier gilt es, im Wissen um das gemeinsame Anliegen und Ziel schnell wieder miteinander ins Gespräch zu kommen und wieder ernsthaft und in gegenseitigem Respekt um eine Verständigung zu ringen.
Noch einmal: Vor dem Hintergrund dieses Vorgangs auf Bundesebene wird die große Bedeutung unseres partnerschaftlichen Ansatzes erst recht bewusst, den wir in Baden-Württemberg mit dem Bündnis für Tariftreue mit ver.di und allen Verbänden der freien Wohlfahrtspflege gehen. Gleiches gilt für die vertrauensvolle Arbeit von Dienstgeber- und Dienstnehmerseite in der Regionalkommission der AK der Caritas in Baden-Württemberg.
Als Vorstand des DiCV Rottenburg-Stuttgart werden wir alle Kraft dafür einsetzen, dass dies so bleibt, um dem gemeinsamen Ziel von mehr Zeit für die Pflege und einer möglichst guten Bezahlung aller Mitarbeiter*innen in der Pflege näher zu kommen. So schnell und so nachhaltig wie möglich.
Stuttgart, am 1. März 2021
Pfr. Oliver Merkelbach, Dr. Annette Holuscha-Uhlenbrock, Dr. Rainer Brockhoff